Navigation

Flüchtlinge als PR-Chance?

Falk Ebert  5. Oktober 2015  1 Kommentar  4 Minuten zu lesen  Werbepsychologie

Kennt ihr das Gefühl, wenn Nachrichten plötzlich greifbar nahe sind?

Die Info-Screens am Hamburger Hauptbahnhof zeigen mir normalerweise nur zwei Arten von Meldungen. Entweder komplett irrelevante Promi-Nichtnachrichten. Oder Meldungen, die entweder geographisch oder thematisch extrem weit von meinem Leben weg sind – ich fühle nichts.

Doch seit ein paar Wochen ist das anders. Wenn ich dann um sechs Uhr morgens am Hauptbahnhof stehe, um den Express-Zug nach Essen zu bekommen, lese ich nicht nur von der Flüchtlingswelle, die gerade Europa trifft. Zehn Meter von den Info-Screens entfernt IST diese Flüchtlingswelle. Jeden Tag sehe ich dort 5-10 neue Familien. Manche schlafen auf dem Boden. Manche streicheln ihren Kindern behutsam durchs Haar. Manche schauen apathisch ins Leere. Und manche machen Selfies mit ihren Smartphones. Unter der Treppe zum Edeka hat sich dort längst eine improvisierte Willkommens-Basis etabliert. In den ersten Tagen haben die Bahn-Mitarbeiter noch die dort aufgehängen Zettel entfernt. Inzwischen ist es Normalität: Informations-Plakate auf Arabisch, ein notdürftig eingerichteter Verwaltungs-Arbeitsplatz, ein Karton, der als Spenden-Box dient und ein paar Matratzen. Meistens kaufe ich mein Frühstück an diesen Tagen doppelt und gebe ein Brötchen einem Flüchtlings-Kind. Die Flüchtlingswelle ist hier. Mitten in Deutschland. Und sie wird auch so schnell nicht abreißen.

Ebensowenig abreißen wird die Berichterstattung und die Diskussionen dazu in der Gesellschaft. Und wo auch immer eine große gesellschaftliche Diskussion ist, da darf eine Sache nicht fehlen: Public Relations.

Kaum ein Unternehmen versucht aktuell nicht, auf der Welle zu reiten. Vom kleinen Supermarkt, der kostenlos Wasser für die Flüchtlinge bereit stellt, bis hin zum DAX-Konzern. Ein kürzlich erschienener Spiegel-Bericht spricht von 23/30 DAX-Konzernen, die sich engagieren … und natürlich darüber reden. Das prominenteste und stärkste Beispiel dafür ist sicherlich der Auftritt des Daimler-Chefs Dieter Zetsche, der sich zwar beim Wort „Digitalisierung“ verstolpert hat, dann aber enorm klare Worte gefunden hat: „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land“.

Ist das hilfreich oder zynisch? Muss jedes Unternehmen auf diesen Zug aufspringen, nur weil es gerade en vogue ist? Sollen Unternehmen, die seit Jahren ihre Ausbildungsstellen kürzen, jetzt damit prahlen, ein paar Migranten unter ihren Azubis zu haben? Dürfen Unternehmen, die seit Jahren mit unlauteren Geschäftspraktiken in der Presse sind, jetzt an unser Gutmenschen-Herz apellieren? Darf man das eigene Unternehmen mit dem Thema Migration PR-wirksam platzieren?

Ich denke ja.

Solange die Kommunikation vorsichtig ist und die Menschenwürde der bei uns ankommenden Familien gewahrt bleibt, stehe ich dieser Entwicklung positiv gegenüber.

Erstens, weil auch kleine Gesten helfen – und vielleicht sogar ausreichend sind. Ein Bäcker spendet ein paar hundert Brötchen und kommt damit in die lokale Presse – warum nicht? Eon stimmt der Nutzung alter Verwaltungsgebäude für die Flüchtlinge zu – gut! Selbst kleine Gesten, die medial groß aufgezogen werden, helfen. Es gibt durchaus schlechter eingesetzte Euros aus PR- und Werbebudgets. Und am Ende ist es genau das, was wir brauchen: Viele kleine Gesten. Dort, wo sie gebraucht werden.

Zweitens, weil es ein gutes Zeichen ist, dass Unternehmen so mutig sind. Typischerweise setzen gerade große Unternehmen ihre Schwerpunkte auf Themen, bei denen man sich nicht die Finger verbrennen kann – Kinder, Kunst, Bildung. Von polarisierenden Themen, oder gefühlt polarisierenden Themen, lässt man als DAX-Konzern in der Regel die Finger. Man möchte nicht zu politisch wirken. Und man möchte den Kommunikations-Abteilungen die Arbeit nicht schwerer machen, als sie es ohnehin ist. Dass außgerechnet die großen Konzerne Deutschlands jetzt so deutlich Stellung beziehen, ist eines der deutlichsten Signale dafür, wie die Stimmung in Deutschland ist: #refugeeswelcome

Drittens, weil durch die Kommunikation ein inhaltlicher Subtext gesendet wird, der wichtig ist: Die Flüchtlingswelle ist auch eine wirtschaftliche Chance. Wenn der Chef von Attac sagt, dass wir Flüchtlinge aufnehmen sollen, ist das eine Sache. Wenn der Chef von Daimler es sagt, eine andere. Denn wie es schon John Oliver gesagt hat: Wenn wir als Deutschland alle unsere Kräfte zusammen nehmen und den Karren nicht gegen die Wand fahren, kann strategisch gesehen nur Gutes aus der Situation kommen.

Ich persönlich begrüße also die PR-Offensive. Selbst wenn hinter großen Worten oft nur (verhältnismäßig) kleine Taten stehen.

Lasst uns hoffen, dass Deutschland das hinbekommt. Denn wenn uns die Situation jetzt um die Ohren fliegt, wird das Thema Einwanderung für die nächsten Jahrzehnte vergiftet sein. Und das kann sich Deutschland wirklich nicht leisten.

Falk Ebert

Falk Ebert hilft Firmen, die Vorteile der Digitalisierung für ihr business zu nutzen. Seit 2022 auch als freiberuflicher Berater. Neben dem Technologie-Optimismus ist er getrieben von seiner Liebe für die Wissenschaft, das Reisen in neue Länder und das Lernen von neuen Sprachen.