Ich habe mir lange überlegt, was ich von Retargeting halten soll. Aus Werbersicht ist das gar nicht so einfach, wie ich finde.
Kurzer Exkurs: Unter Retargeting versteht man Werbung, die zielgruppengenau erfolgt auf Basis der Surfhistorie, nicht nur demografischer Daten. Das heißt z.B. kann ich als Markenartikelhersteller von rosaroten Laufschuhen meine Werbung gezielt an Leute ausspielen, die in den letzten 36 Stunden im Internet nach meinen rosaroten Laufschuhen gesucht haben und einen Studienabschluss haben, also höchstwahrscheinlich auch das Kleingeld für die Dinger locker machen können.
Einerseits sehe ich natürlich die Möglichkeiten, die das bietet. Da ist immer von höheren Conversion Rates die Rede, die durch den größeren Werbedruck verursacht werden. Das klingt natürlich nett. Und sicher ist da auch was dran.
Andererseits versuche ich mich in die Schuhe eines normalen – nicht durch ein Werbe-Studium und einen Job in der Branche vorbelasteten – Konsumenten zu versetzen. Wie wirkt Retargeting auf mich? Was geht da in mir vor, wenn ich direkt vor Augen geführt bekomme, was mit meinen Daten geschieht.
Meine persönliche Meinung: Es ist creepy. Wenn ich eine Lampe suche und mit dem Gedanken spiele sie zu kaufen, dann schockiert es mich, dass mir genau diese Lampe am Tag danach auf Facebook angedreht wird (und dazu auch noch in einer hässlicheren Farbe, als die, die ich möchte):
Aber anscheinend geht es da den meisten Leuten anders, wie verschiedene Studien beweisen wollen:
Thirty percent of consumers have a positive or very positive reaction to retargeted ads, vs. 11 percent who feel negatively about them. The greatest percentage, though—59 percent—had a neutral reaction.
Oder:
Online consumers are open to receiving behaviorally retargeting ads. While the majority of consumers (60 percent) remain neutral about the topic of retargeting ads, 25 percent enjoy them because they remind them of what they were looking at previously.
Sorry, aber das überzeugt mich nicht. Erstens, sind diese Studien immer zu schön um wahr zu sein. Und wenn man dann sucht, woher die Zahlen kommen, findet man keinerlei Angaben dazu, wie groß die Stichprobe war, oder eine große Performance Marketing Agentur hat die Studie durchgeführt. Ha, was für ein Zufall!
Außerdem: Konsumenten freuen sich, weil die Werbung sie daran erinnert, was sie sich kaufen wollten? Seriously? Das ist doch Humbug. Und ein gutes Argument für Zigarettenwerbung im Fernsehen wäre, dass man sie wieder einführen sollte, weil Leute vergessen könnten, dass sie gerade am liebsten an ihrem Glimmstängel ziehen würden?
Am Ende muss man sich als Werber immer noch die Frage stellen, was man selbst von so etwas hält. Und wenn selbst ich beim Retargeting einen faden Nachgeschmack habe, dann hat das der normale Verbraucher meiner Meinung nach erst recht. Solange ich nicht selbst Schwarz auf Weiß den Erfolg davon erlebe, kaufe ich das auch keiner Studie ab. Es sei denn sie wurde von der Verbraucherschutzzentrale mit einem Panel von 80.000 Leuten durchgeführt.