50 Milliarden Bewertung für Kinder-Minispiele mit hässlicher Grafik? Willkommen im Metaverse – das nächste heiße Buzzword, das auf keinem Startup-Pitch fehlen darf. Doch was ist das Metaverse (Deutsch: Metaversum) überhaupt? Spoiler: Es ist nicht so einfach.
Was ist das Metaverse?
In den 00ern war mein liebster Ort die Sci-Fi-Ecke der Stadtbibliothek. Ähnlich wie viele Investierende des Silicon Valley, kenne ich den Begriff also aus der Literatur: Snow Crash, Otherland, A Fire Upon the Deep, …
Wikipedia definiert das Metaversum so:
a concept of a future iteration of the internet, made up of persistent, shared, 3D virtual spaces linked into a perceived virtual universe
Falls ihr die Sci-Fi-Ecke eher meidet und Ready Player One nicht gesehen haben solltet: Stellt euch ein großes Computerspiel vor, in dem wir alle abhängen. Es besteht aber nicht aus einer Welt, wie etwa World of Warcraft. Sondern aus vielen, die ständig erweitert und verändert werden. Das Internet als sozialer Ort – zum Reinlaufen. Wie mächtig müsste die Firma sein, die diesen Ort erschaffen hat?
Soweit die Vision. Diese Vorstellung hat jedoch ein paar kleine Häkchen, wie ich im Folgenden aufzeigen möchte.
Das Metaverse wird nicht nahtlos sein
Virtuelle Welten gibt es bereits – sie heißen Videospiele. Auch Plattformen für Videospiele wie Steam und Epic gibt es. Warum also nicht alle die Videospiele zu einer großen Welt zusammenfügen? Kurz gesagt: Ladezeiten.
Spiele sind in den letzten Jahren immer besser darin geworden, Ladezeiten zu minimieren und zu verstecken. Und dennoch bleibt ein Zielkonflikt: Vielfalt und Opulenz der Erfahrungen auf der einen Seite – Nahtlosigkeit auf der anderen Seite.
Um diesen Balken da unten links wird man in der einen oder anderen Form nie ganz herum kommen. Wenn man als Nutzer*in also sowieso aus der Welt heraus geholt wird, ist es fast egal, ob man auf ein Interface oder einen virtuellen Warteraum schaut. Zumal ein Interface die bessere Navigation zwischen verschiedenen Erlebnissen ermöglicht. Deshalb macht Roblox das auch so.
Ein „Metaverse“ mit Interface zwischen den Erfahrungen? Klingt eigentlich verdächtig nach einem App-Store.
Wir werden keinen digitalen Avatar haben
Aber Moment, was ist mit dem digitalen Avatar, den wir laut Sci-Fi im Metaverse haben werden? Unsere virtuelle Repräsentation, die wir frei gestalten können?
Je vielfältiger die Erfahrungen, desto unwahrscheinlicher, dass wir einen Avatar im Metaverse haben werden. Ein buntes Tanz-Spiel-Outfit im Weltkriegs-Szenario? Macht dich zur Zielscheibe.
Digitale Erfahrungen sind immer auch Mimikry – Maskierung und Rollenspiel. Und viele dieser Rollen sind nicht-menschlich. Teilweise noch nicht mal humanoid. Hier ein paar der Rollen, in die ich in Multiplayer-Titeln gerne schlüpfe:
Vielleicht werden wir in Zukunft in vielen Anwendungen ein Gesicht oder markante Merkmale als Erkennungszeichen haben. Ein standardisierter Avatar à la Second Life, VR Chat oder Horizon scheint mir auf Dauer aber zu langweilig.
Was auf sozialer Ebene bleibt, ist die Idee eines „sozialen Layers“. Also Freundeslisten, Erreichbarkeit, etc. – das alles über einzelne Erfahrungen hinweg. Doch auch das gibt es heute schon. Nennt sich zum Beispiel Discord. Damit bleiben Spielende in Kontakt – über Spiele und Loading-Screens hinweg. Und auch da ist der Markt heute schon fragmentiert.
Die eigentliche Frage bleibt aber: Was machen wir eigentlich im Metaverse, während wir miteinander in Kontakt bleiben?
Das Metaverse wird kein Ort zum Abhängen
Schaut man sich die Selbstdarstellung der großen Metaverse-Herausforderer wie Altspace oder RecRoom an, sieht man Lagerfeuerromantik: Menschen, die zusammen auf Klappstühlen lümmeln, Marshmallows grillen oder vor einer Konzertbühne tanzen.
Nichts davon ist die Zukunft des Metaverse. Warum sollte man Marshmallows grillen, wenn man stattdessen spannende Schlachten schlagen kann? Warum sollte man bei einem Konzert vor der Bühne stehen, wenn das Konzert stattdessen eine interaktive Erfahrung jenseits von physischen Restriktionen sein kann? Oh, und das Sitzen, das ist ohnehin kompletter Quatsch. Egal ob VR, oder mit dem Controller in der Hand. Im Metaverse wird man sich bewegen wollen.
Aber was ist mit „Hirn aus“-Erfahrungen mit Freund*innen, wenn man eigentlich nur mal Reden möchte? Wenn man mal keine Monster zerlegen möchte? Selbst da setzen sich zumindest aktuell eher Spiele-artige Erfahrungen durch. Eben solche, bei denen man nebenbei grindet.
Ja, digitale Räume sind soziale Räume. Dieser Punkt ist zentral. Aber sie sind eben keine realen Räume und wollen es auch nicht sein. Es hat einen Grund, dass Second Life nur noch aus ein paar letzten Hardcore-Fans besteht, während der Rest der rund drei Milliarden Gamer*innen Realitäts-fremde Erfahrungen bevorzugt. Wenn ich Stockbrot grille, möchte ich es auch essen können.
Wir werden das Metaverse von außen erschaffen
Spätestens an dieser Stelle müssen wir fragen: Was könnte denn überhaupt das Metaverse sein, was es heute noch nicht gibt? Ein in diesem Artikel noch nicht beleuchteter Aspekt ist die Demokratisierung von Game Creation.
Spiele-Baukästen wie Dreams und Crayta machen Spiele-Bauen zum Kinderspiel. Und das ist wichtig. Denn die Kreativität der Fan- und Modding-Szene war schon immer Innovationstreiber. Marktbeherrschende Titel wie Counter-Strike starteten einst als Hobbyprojekte von ein paar Jungs oder Mädels im Hobbykeller.
Die Frage ist jedoch, wird sich die bastelnde Person „im Metaverse“ befinden, wenn Otto-Normalnutzer*in in Zukunft virtuelle Erfahrungen erschafft? VR-Wettbewerber wie Horizon, Altspace und RecRoom setzen darauf und bieten uns VR-Bastelwerkzeuge an. Doch ich glaube für die nächsten fünf Jahre nur bedingt daran.
Egal, ob 2D, 3D, animiert oder Videospiel: Auf absehbare Zeit arbeitet es sich besser in einem Anwendungsfenster. Nur so kann man mehrere Softwares miteinander kombinieren, Dateien verschieben und nebenbei Googlen. So reizvoll bunte „no code“-Tools wie Dreams auch sind – die besten Erfahrungen werden aus Programmen kommen, die doch eher wie ein Unity aussehen.
Denn auch klassische Game Engines mit Programmierumgebung wie Unity und Unreal werden immer immer benutzerfreundlicher. Und sie haben einen technologischen Vorsprung, der kaum aufzuholen ist.
Big Tech sollte das Metaverse nicht besitzen
Dieses Thema ist mindestens fünf Bücher wert. Deshalb an dieser Stelle nur ein gedanklicher Impuls.
Für den Fall, dass es etwas geben wird, das im entferntesten wie die Sci-Fi-Version des Metaverse aussieht, von der ich damals in der Stadtbücherei gelesen habe…
Denken wir an die Erfahrungen, die wir mit digitalen sozialen Räumen wie Facebook und Twitter in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Wollen wir wirklich, dass Facebook den nächsten sozialen Raum baut, verwaltet und monetarisiert?
Die Blockchain macht es möglich, Elemente des Metaversums ohne eine „trusted 3rd party“ zu bauen. Andererseits stellt sich dann – mehr als je zuvor – die Frage nach Polity, Policy und Politics. Und nach der CO2e-Bilanz unseres Rumgecybere.
Fazit
Zusammenfassend können wir also drei Dinge sagen.
Erstens, es wird nicht ein Metaversum geben. Stattdessen eher so etwas wie ein Metaverse Ecosystem, bestehend aus einem ganzen Mosaik an Wettbewerber*innen, Softwares, 3rd parties und Ideen. Viele Aspekte dieses Ökosystems gibt es heute schon. Es wird Machtkonzentration geben, aber keine absolute. Was hinter dem Buzzword wirklich steckt: Digitale Räume werden zunehmend zu sozialen Räumen.
Zweitens, Erfahrungen im Metaverse werden game-like sein. Sie werden kein Second Life sein. Und sie werden dem Real Life viel weniger ähneln, als wir heute denken. Denn das Echte haben wir ja schon in real life.
Drittens, wir müssen als Gesellschaft verdammt aufpassen. Besser, als beim Social Web. Denn jede Utopie schlägt schneller in eine Dystopie um, als uns lieb ist. Und die stellenweise katastrophale Entwicklung der sozialen Medien der letzten zwanzig Jahre wollen wir nicht wiederholen. Erst recht nicht in 3D.